Allgemeine Sinnesphysiologie Hautsinne, Geschmack, Geruch by Prof. Dr. Herbert Hensel (auth.)

By Prof. Dr. Herbert Hensel (auth.)

Die Grundlagen der allgemeinen oder theoretischen Sinnesphysiologie be­ finden sich gegenwärtig in einem entscheidenden Umbruch. Hatte guy bislang, gemäß der Denkweise eines traditionellen Naturalismus, das theoretische Funda­ ment der allgemeinen Sinnesphysiologie in den objektiven Wissenschaften ge­ sucht, so beginnt die Sinnestheorie sich heute aus dieser Abhängigkeit zu befreien und eigenständige methodische Ansätze zu entwickeln .. Die vorliegende Darstellung soll ein Beitrag zu dieser neuen Richtung sein. was once uns die Sinne zeigen, ist originär und nicht aus anderen Gegebenheiten ab­ leitbar. Die Wahrnehmung als autonome Erkenntnisquelle stellt der Sinneslehre die Aufgabe einer Selbstbegründung und einer primären Strukturanalyse der Sinnenwelt, ohne sich von vornherein auf die von den exakten Wissenschaften angebotenen Begriffe festzulegen. Erst in zweiter Linie wäre dann zu fragen, welche Beziehungen zwischen den Sinnesphänomenen und den Begriffssystemen oder Sachverhalten der positiven Wissenschaften bestehen. Im zweiten Teil des Buches werden die Physiologie der Hautsinne, des Ge­ schmacks und des Geruchs als in sich geschlossene Abschnitte erörtert. Ich habe auch hier versucht, einige in der allgemeinen Sinnesphysiologie entwickelte Ge­ dankengänge einzuführen und so einen inneren Zusammenhang mit dem ersten Teil herzustellen. Manches mußte freilich noch recht heterogen bleiben, nicht zu­ letzt deshalb, weil ein großer Teil der heute bekannten sinnesphysiologischen Tatsachen das Resultat von Fragestellungen ist, die den Denkgewohnheiten der naturalistischen Sinneslehre entspringen. Neue Gesichtspunkte erscheinen mir besonders dort notwendig, wo Einzelfragen - wie etwa das challenge der "Spezi­ fität" der Hautsinne - zugleich Brennpunkte allgemein sinnesphysiologischer Auseinandersetzungen sind.

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Den gesehenen Flächengrößen kommt eine eigene Qualität zu, und sie sind daher als eindimensional zu betrachten; ihre Zurückführung auf Längen, also die zweidimensionale Darstellung, ist bereits eine begriffliche Abstraktion (vgl. REENPÄÄ, 1; UNGER, 2). Der dreidimensionale Sehraum besitzt nach neueren Untersuchungen eine nichteuklidische, wahrscheinlich hyperbolische Struktur (KIENLE). Das Parallelenaxiom EUKLIDS, wonach durch einen Punkt in der Ebene nur eine einzige Gerade läuft, die eine zweite Gerade in der gleichen Ebene nicht schneidet, gilt im phänomenalen Sehraum nicht.

III. Die Zeitdimension Beim Wahrnehmen durch die Sinne tritt die Zeit als Aktualität auf. Wir fassen einen Gegenstand in den Blick: er tritt in den Wahrnehmungshorizont ein - wir blicken weg oder schließen die Augen: er verschwindet aus unserem Gesichtsfeld. Der Begriff des "Augenblicks" bezeichnet sehr treffend den temporalen Modus der Sinnesgegebenheit. Alle Sinnesanschauung ist gegenwärtig, ein zeitliches "Jetzt" (vgl. 368). Während die phänomenalen Raum-, Intensitätsund Qualitätsdimensionen Ausdehnung besitzen, fehlt dem Sinneserlebnis eine ausgedehnte Zeitdimension.

Wie unterscheidet sich nun die begriffliche Zeit, von der sich die physikalische Zeit herleitet, gegenüber der physiologischen oder phänomenalen Zeit 1 Im Zeitbegriff erfassen wir die Zeit als unbegrenztes Kontinuum, während die Zeitlichkeit der Sinneserfahrung sich auf eine kurze Gegenwartsspanne beschränkt. Geht man davon aus, daß das Bilden von Begriffen eine "Zeitenthebung" bedeutet, so kann man sagen, der Zeitbegriff sei eine zeitenthobene Zeit (REENPÄÄ, 8). Diese vielleicht etwas paradox klingende Formulierung besagt nichts anderes, als daß man bei der Bildung des Zeitbegriffs von der phänomenalen Zeitlichkeit, d.

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